Als ich vor einem halben Jahr gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könnte, in den Sommerferien meines Sohnes János eine kleine USA-Tournee zu spielen, lehnte ich dies spontan ab. Nach einer langen und anstrengenden Saison mit zahlreichen Auftritten, CD-Einspielungen und noch mehr Reiserei wollte ich einfach nur ausspannen können. Allein meine USA-Managerin ließ nicht locker, und nach Rücksprache mit János, der gerne mal wieder ins seine Geburtsstadt New York fahren wollte, verlängerte ich die Saison bis Mitte Juli, in der Hoffnung, Konzerte mit Urlaub verbinden zu können.
Und so viel sei gesagt: Es war ein großartiges father-son-bonding, wie die Amerikaner sagen würden. Wir beide verbrachten drei intensive und wunderschöne Wochen miteinander. Sofort an seinem ersten Ferientag flogen wir zum Bachfestival nach Eugene, der Stadt der amerikanischen Leichtathletik (“Nike” wurde dort geboren), aber dank Helmut Rilling auch seit 40 Jahren (!) mit einem internationalen Musikfestival ausgestattet. Ich hatte János gewarnt, dass die ersten fünf Tage etwas hart werden würden; in drei Konzerten musste ich nicht nur alle sechs Bachfestivalchsuiten sondern auch noch Benjamin Brittens drei Solosuiten aufführen.
Warum ich so etwas Anstrengendes für die Ferien zugesagt hatte? Oh, ich liebe Herausforderungen, und da ich Britten’s Gesamtwerk im Dezember ohnehin aufnehmen werde, war es mir darüber hinaus ganz recht, auch die letzten beiden Suiten lernen zu müssen. Selten war ich so nervös, da für mich nichts heikler ist, als Bach zu spielen, und auch Britten’s Musik spielt sich nicht von alleine, insbesondere wenn man wie ich lieber auswendig als von Noten spielt… Bis zur letzten Minute war ich damit beschäftigt, die Suiten in meinen Kopf zu bringen, während János mit den Kindern eines befreundeten Dirigenten angelte und im Hotelpool tobte.
Wie verdient fühlten sich die fünf Tage Freizeit an nach bestandenem vierstündigen Bach-Britten-Marathon an, und wie viel kann man in so kurzer Zeit in Oregon erleben. Mit je einem ATV (Mini-Jeep) düsten wir die spektakulären Dünen an der Pazifikküste rauf und runter, schauten uns Seelöwen in ihren Höhlen an, fuhren an schneebedeckten Bergen vorbei, durch tiefschwarze Wälder direkt in wüstenähnliche Landschaften, und der Höhepunkt waren drei verschiedene Flüsse, auf denen wir uns im White-Water-Rafting erproben konnten.
Da ich nun schon fast ein Vierteljahrhundert professionell Konzerte gebe, kenne ich sowohl meinen Körper als auch die noch wichtigeren Finger gut genug um zu wissen, dass ich es mir leisten konnte, eine Woche lang das Cello nicht anzurühren, um dann innerhalb von 90 Minuten fit genug für die erste Probe mit Saint-Saens 1.Cellokonzert in Nashville zu sein. Ach, so viel leichter ist es, 19 Minuten Saint-Saens als 240 Minuten Bach und Britten erfolgreich zu gestalten; in Eugene hätte ich es mir nicht erlaubt, am Tage des zweiten Konzertes auf einer gemieteten Harley-Davidson mit János eine kleine, zauberhafte Landstrasse für ein paar Stunden entlang zu gondeln. Die Idee kam vom Präsident des Orchesters, und wie könnte ich so ein Angebot ausschlagen. Ob ich meine Konzerte zu locker nehme? Nein, ganz und gar nicht, nur reichen mir mittlerweile 15 Minuten Schlaf, 10 Minuten Dusche und 40 Minuten hochkonzentriertes Einspielen vor dem Konzert, um ein Werk, das ich insgesamt schon mehr als hundert Mal gespielt habe, überzeugend über die Rampe zu bringen.
Der Besuch einer Country-Musik-Bar mit köstlichen BBQ-Spare-Ribs rundete unseren Besuch in Tennessee ab, bevor uns das Ende der Reise in New York erwartete; in einem Ford-Mustang-Cabriolet cruisten wir durch den Big Apple, schwitzten und staunten für Stunden beim Sightseeing, umkreisten Manhattan in einem Boot, machten den letzten kleinen Abstecher (380 Meilen) nach Chautauqua, wo ich mein letztes Konzert der Saison mit einem wirklich hervorragenden Sommerorchester bestreiten durfte (ein letztes Mal Saint-Saens) und dann setzte ich mit schwerem Herzen Janos in den Flieger in Richtung Puerto Rico zu seiner Mutter, während ich einem Strandurlaub mit meiner Zukünftigen in Bulgarien entgegen fieberte.